Editorial

Paper-Einbruch

(31.7.17) Finden Sie nicht auch, dass heutzutage viele Paper ziemlich stark anfangen – und irgendwann mittendrin noch stärker nachlassen? Ein Erklärungsversuch.
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Oft heißt es, heutzutage würden immer weniger Originalartikel tatsächlich gelesen. Wer dies jedoch noch halbwegs regelmäßig tut, dem dürfte es beim Paperlesen ziemlich sicher schon mal folgendermaßen gegangen sein:

Ein Paper fängt richtig stark an. Schon in der Einleitung führt es ganz verschiedene Befunde äußerst eingängig zusammen und entwickelt dabei eine derart neue und originelle Perspektive, dass sich am Ende die zentrale Frage des Artikels überraschend klar und logisch herausschält. Dann der Ergebnisteil: Saubere Experimente mit allen denkbaren Kontrollen bringen mehr als genug Daten, um eine wasserdichte Statistik durchzuziehen. Drei, vier absolut überzeugende Abbildungen entstehen auf diese Weise. Die Schneise ist damit ins Dickicht geschlagen, der weitere Pfad liegt klar und hell vor einem. Gespannt wartet man als Leser nur noch auf den entscheidenden Clou…

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… Doch völlig unvermittelt bricht das Paper ein. Die letzten zwei, drei Datensätze passen zwar irgendwie, lassen die Story aber auf der Stelle treten – geschweige denn, dass sie sie rund machen. Vor allem aber bleibt die anfangs so stark abgeleitete Hypothese damit am Ende leider doch völlig offen.

Was ist passiert? Hat am Ende jemand einfach nicht mehr die nötige Zeit gehabt, das Schiff sicher und ruhig in den Hafen zu steuern?

Oft ist das wohl tatsächlich so. Eine Frist läuft ab, und irgendwas „muss vorher noch raus“. Damit der Doktorand zusammenschreiben kann, damit der Postdoc zur nächsten Zeitstelle wechseln kann, damit der Antrag neu eingereicht werden kann, …

Dass der letzte Kick für die Story noch fehlt, wissen alle Beteiligten – doch was soll man machen in diesen Zeiten asthmatischer Bewilligungsperioden? Schließlich wird der richtige Zeitpunkt für ein Paper heute umso stärker durch Karrierezugzwänge und hektische Antragsrhythmen vorgegeben – statt durch die Zeit, die ein Projekt einfach braucht, um es sauber und überlegt zu einem starken Ende zu bringen.

Unter dem Druck verzichtet man also schweren Herzens auf das „starke Ende“. Vielmehr nimmt man die Daten, die man bis dahin hat – und verpackt sie wortgewaltig, so gut es geht. Dies durchaus mit schalem Geschmack im Mund, denn was hätte man schließlich für ein Paper machen können… Aber egal, jetzt zählt nur eins: dass die Gutachter das Ganze einfach nur akzeptieren und man dieses verdammte, ach so dringend benötigte Paper bekommt…

Oh ja, es gibt jede Menge solcher Paper heute… Oder?

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 30.08.2017