Editorial

Kein Versehen mehr!

(20.6.17, mit Update am 24.6.17) Eine Untersuchung fördert manipulierte Abbildungen in acht Publikationen eines leitenden Forschers zutage – woraufhin sein Dienstherr ihn „wegen grob fahrlässigen wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ rügt. Den größeren Schaden haben jedoch seine Mitarbeiter.
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Karl Lenhard Rudolph: Grob fahrlässige Laborleitung

Unangenehm oft bestätigten zuletzt entsprechende Untersuchungsausschüsse unzulässige Mauscheleien in publizierten Abbildungen – so etwa in Artikeln von Tina Wenz (Köln), Kathrin Maedler (Bremen), Regine Schneider-Stock (Erlangen) und natürlich Olivier Voinnet (Zürich/Straßburg). Frisch „erwischt“ hat es jetzt Karl Lenhard Rudolph, den wissenschaftlichen Direktor des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena. Die Leibniz-Gemeinschaft, zu der das FLI gehört, zitiert in ihrer Stellungnahme folgendermaßen aus dem Abschlussbericht der Untersuchungskommission:

1. In insgesamt acht der geprüften Publikationen finden sich Fehler in der Datendarstellung. Diese Fehler umfassen unzulässige Verdopplungen von Bildteilen, nicht gekennzeichnete Schnitte bei der elektronischen Zusammenstellung von Bildteilen, Darstellung falscher Bildteile, unzulässige Auswahl bei der Darstellung von Ergebnissen sowie ungeeignete Ladungskontrollen von Western Blots auf separaten Gelen. Herr Rudolph ist als korrespondierender Autor / senior author für sechs dieser Publikationen hauptverantwortlich; bei einer weiteren Publikation ist er als Koautor für die Darstellung der monierten Daten mitverantwortlich.

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2. Zu acht der geprüften Publikationen konnten keine den Anforderungen guter wissenschaftlicher Praxis genügenden Datendokumentationen mit entsprechenden Versuchsprotokollen und Primärdaten (Laborbücher) vorgelegt werden.

3. In vier der geprüften Publikationen wurden Experimente nicht den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis entsprechend ausreichend auf ihre Reproduzierbarkeit hin überprüft.

Konkrete Hinweise darauf, „dass Daten frei erfunden oder die Datenmanipulationen direkt durch Herrn Rudolph begangen oder durch ihn initiiert wurden“, habe die Kommission zwar nicht erhalten, wie sie weiter schreibt. Dennoch stellt sie „Herrn Rudolph“ in ungewöhnlich scharfer Form an den Pranger. Schließlich sehe sie es nach der Untersuchung als grundsätzlich erwiesen an, dass in Rudolphs Gruppe über viele Jahre hinweg die Experimente schlampig dokumentiert wurden, die Qualitätskontrollen unzureichend waren, eine Supervision der Publikationserstellung nur mangelhaft erfolgte und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ungenügend betreut wurden

Als Fazit hält die Kommission daher fest:

Da erst hierdurch die zahlreichen Mängel der […] Publikationen, welche das Ausmaß gelegentlich vorkommender, versehentlicher Fehler deutlich übersteigen, möglich wurden, bewertet der Untersuchungsausschuss die Verletzung der Aufsichtspflicht als Arbeitsgruppenleiter und hauptverantwortlicher Autor durch Herrn Rudolph als grob fahrlässig. Grob fahrlässig handelt, wer die nach dem konkreten Forschungskontext gebotene Sorgfalt auffallend stark außer Acht lässt. Hinsichtlich der oben unter 1. bis 3. genannten Fälle trifft Herrn Rudolph daher der Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens.

Versehen wird also ausgeschlossen. Was dann noch bleibt, ist: Absicht.

Sicher, die Kommission kann keine gezielten Datenerfindungen nachweisen. Wenn man aber alle Formulierungen des Berichts zusammennimmt, wird schnell klar, dass Rudolph nach deren Ansicht eine Forschungskultur in seiner Arbeitsgruppe zu verantworten hat, die Fehlverhalten nicht nur toleriert, sondern geradezu begünstigt.  Und dies sicherlich nicht, indem Rudolph das Entstehen einer solch mangelhaften Kultur einfach nur billigte. Schließlich ist sein Name der einzige, der auf allen acht manipulierten Publikationen erscheint – die übrigen Ko-Autoren variieren jeweils stark.

Die Maßnahmen, die das Präsidium der Leibniz-Gemeinschaft daraufhin gegenüber Karl Lenhard Rudolph beschloss, klingen trotz alledem gewohnt schwach:

- eine schriftliche Rüge wegen grob fahrlässigen wissenschaftlichen Fehlverhaltens,

- drei Jahre Entzug des passiven Wahlrechts für Leibniz-Gremien,

- Ausschluss des FLI unter Leitung von Herrn Rudolph vom Wettbewerbsverfahren der Leibniz-Gemeinschaft für drei Jahre,

- Aufforderung zur Publikation von sieben Errata und einer Retraktion zu den monierten Artikeln.

Sicher, man mag jetzt fragen, wie solche Publikationen überhaupt durch Errata zuverlässig „korrigiert“ werden können – insbesondere angesichts der erwähnten mangelhaften Datendokumentation. Ebenso mag man fragen, ob die Leibniz-Gemeinschaft nicht über härtere Sanktionsmöglichkeiten verfüge – und wenn ja, ob diese dann in dem Fall nicht angemessener wären.

Aber auch ohne dies ist klar: In der Community ist die Arbeitsgruppe Rudolph mit solch einem Bericht „verbrannt“.  Mit dieser Vorgeschichte wird man wohl auch zukünftigen Publikationen von Rudolph et al. nur schwerlich Vertrauen entgegenbringen.

Wem dies jedoch am meisten schadet, sind die Nachwuchsforscher, die gerade durch Rudolphs Labor gegangen sind – inklusive denjenigen, die gar nicht mal als Ko-Autor auf einem der inkriminierten Papern stehen. Die meisten, wenn nicht sogar alle von ihnen sind sicherlich völlig unschuldig hinsichtlich irgendwelcher Daten- und Abbildungsmanipulationen. Aber jeder und jedem haftet jetzt der Makel an, einen gehörigen und wichtigen Teil der eigenen Ausbildung in einer Arbeitsgruppe verbracht zu haben, in der es nachweislich „von oben herab“ über lange Zeit mit wissenschaftlicher Sorgfalt und Integrität mehr als ungenau genommen wurde. Wenn auch nicht wirklich fair, so ist doch leicht vorstellbar, dass genau dies bei der Bewerbung um die nächste Stelle den entscheidenden Ausschlag zur Ablehnung geben kann.

Leitende Wissenschaftler wie Karl Lenhard Rudolph haben die Pflicht zu größtmöglicher Sorgfalt in der Forschung. Laut Kommissionsbericht ist er hier aufgrund „grob fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht“ vieles schuldig geblieben. Leitende Wissenschaftler wie Karl Lenhard Rudolph haben aber eine ebenso hohe Pflicht zu größtmöglicher Sorgfalt in der Ausbildung und Karriereförderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Hier hat er noch schlimmer versagt.

Ralf Neumann


Update vom 24.6.17:

Ein paar weiterführende Gedanken zum Fall "Rudolph" erschienen heute unter dem Titel "Stellen-Schnappen mit Mauschel-Publikationen" im Laborjournal Blog.



Letzte Änderungen: 13.07.2017