Editorial

Syndrome des Scheiterns

(14.3.17) Nur selten liest man etwas darüber, nach welchem Muster Doktoranden und Postdocs mit ihren Forschungsprojekten scheitern können. Hier der Versuch, eine wahre Geschichte im Rückblick entsprechend aufzuarbeiten.
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© Fotolia / freshidea

Der junge Doktorand und sein Professor waren sich einig, welchem Problem sie sich jetzt stellen wollten: Neue Erkenntnisse würde es nur geben, wenn es ihnen gelänge, das Protein in aktiver Form zu reinigen. Nur mit dem reinen Protein könnte der Doktorand den zentralen Pfeiler ihrer Hypothese wirklich testen.

Die Sache hatte jedoch einen entscheidenden Haken: Das Protein saß in einer Membran – und sobald der Doktorand es dort heraus solubilisierte, schwand umgehend dessen Bindeaktivität. Die Folge war, dass er es in den ersten Versuchen bereits nach dem zweiten Vorreinigungsschritt nicht wieder in den Trennfraktionen aufspüren konnte. Es ging folglich auf noch nicht einmal halbem Wege kaum angereichert „verloren“.

Der Doktorand probierte einiges, um die Proteinaktivität zu retten: Er solubilisierte das Protein mit mehreren Dutzend verschiedener Detergenzien; er veränderte den pH-Wert, den Salzgehalt und die Pufferzusammensetzungen; er adaptierte jedes Protokoll zur Proteinstabilisierung, das er finden konnte; er kondensierte die Reinigungsschritte auf die kürzestmögliche Zeit;... – aber alle Bemühungen blieben bis zum Schluss vergeblich.

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Irgendwann wurde es zum traurigen Ritual, jedes neue vorzeitige Scheitern mit den abgewandelten Zeilen von Goethes „Erlkönig“ zu verkünden: „Erreicht das Tube mit Müh' und Not, in seinen Fingern das Protein war tot.“ Nur Sarkasmus half noch ein wenig, die Enttäuschung zu verdauen.

Viele Jahre später kam der Ex-Doktorand im Rückblick zu dem Schluss, dass es eine fatale Mischung aus zwei psychologischen „Syndromen“ war, die seinem damaligen Forschungstreiben letztlich das Genick brachen. Er nannte sie das Try-the-same-but-harder-Syndrom und das Trapped-by-Perfectionism-Syndrom.

Das erste Syndrom offenbarte sich ihm erst, als eine japanische Gruppe deren alte Hypothese schließlich bestätigte – mit Methoden aus der funktionellen Genomik und des RNAi-Gene-Silencing, unterstützt von Bioinformatik und maßgeschneiderten Mikroarrays. Mit einem einzigen, eleganten Ansatz hatten sie die ganze Frage erfolgreich gelöst. Eine Reinigung des Bindeproteins war nicht notwendig.

Erst da wurde dem Ex-Doktoranden klar, was sie fünfzehn Jahre zuvor nicht erkannt hatten – oder nicht hatten wahrhaben wollen: dass es mit den damaligen Methoden einfach nicht möglich war, das Protein in aktivem Zustand zu reinigen. Geblendet durch die eigene Ignoranz waren sein Professor und er selbst die ganze Zeit überzeugt gewesen, dass sie ständig neue experimentelle Ansätze versuchten – und dass der Erfolg nur hinter der nächsten Ecke wartete. Tatsächlich jedoch änderte er nur immer wieder die Bedingungen ein und desselben Experiments. So verbrachte er schließlich Jahre damit, ständig dasselbe zu versuchen. Try the same but harder.

Warum aber ließen sie nicht beizeiten ab von dem Protein, um sich stattdessen mit Hand und Hirn einem lohnenderen Projekt zuzuwenden? Hier kam nach der retrospektiven Analyse des Ex-Doktoranden das „Perfektionismus-Syndrom“ dazu. Alle Freunde und Kollegen im gesamten Feld wussten damals, was sein Prof und er vorhatten – und alle waren sicher, dass sie bald mit positiven Ergebnissen aufwarten würden. Natürlich ließen sie sich diesen allgemeinen Optimismus gerne aufpfropfen (obwohl er von Anbeginn an unrealistisch war) – und natürlich wollte der Doktorand diese Erwartungen perfekt erfüllen. Als sich dann aber die Misserfolge summierten, verstärkte dieser Anspruch nur noch den eigenen Tunnelblick: Doktorand und Professor erkannten nicht, dass es auch die Angst vor dem Versagen war, die sie immer wieder von neuem gegen dieselbe Wand fahren ließ.

Irgendwann waren die Dinge dann außer Kontrolle, Doktorand und Professor kamen aus der Nummer nicht mehr raus. Auch weil ihre Zuversicht und ihr Selbstbewusstsein zu sehr im Keller waren. Bis der Doktorand eines Tages einfach nicht mehr kam...

Ralf Neumann

(Wer andere Geschichten oder Muster des Scheiterns von Doc- und Postdoc-Projekten kennt, darf sie uns gerne mitteilen: redaktion@laborjournal.de)



Letzte Änderungen: 15.03.2017