Editorial

Warum heißt Ihre Firma denn ausgerechnet AMSilk, Herr Scheibel?

(23.2.17) Rede und Antwort steht Thomas Scheibel, Inhaber des Lehrstuhls Biomaterialien an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Universität Bayreuth. Gemeinsam mit Lin Römer und Axel Leimer ist er Gründungsmitglied der AMSilk GmbH aus Planegg bei München.

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Thomas Scheibel
© W. Köppelle

Wie ist der Name AMSilk entstanden?

Thomas Scheibel: Wir haben 2004 an der Technischen Universität München drei Patente angemeldet und dabei das Potenzial gesehen, eine Plattformtechnologie für die Produktion von Proteinen aus Spinnenseide zu entwickeln. Zuerst war unsere Idee, dazu mit etablierten Unternehmen zusammen zu arbeiten. Problematisch war jedoch, dass diese in der Regel ein fertiges Produkt sehen wollen und nicht unbedingt an der Entwicklung einer Technologieplattform interessiert sind. Deshalb entwickelte sich die Idee Ausgründung, zu der es dann 2006 kam. Anfangs verwendeten wir einen anderen Namen, bekamen aber bei verschiedenen Businesswettbewerben die Rückmeldung, dass zwar unser Konzept toll, unser Firmenname hingegen nicht ansprechend sei. Der neue Name AMSilk geht dann auf mich zurück. Ich habe ihn als Marke eintragen lassen und nach der Firmengründung auf die Firma übertragen. Der Name sollte widerspiegeln, dass es sich um ein Biotechnologieunternehmen handelt und keine falschen Assoziationen wecken, wie es der alte Name getan hatte. Der Namensbestandteil „Silk“ steht für unser Produkt, die biotechnologisch hergestellte Spinnenseide. Außerdem sollte der Name im Alphabet weit vorne stehen. Viele Unternehmen haben aus diesem Grund vorne eine Zahl oder den Buchstaben A, zum Beispiel das US-basierte Biotech-Unternehmen Amgen. Dort steht „AM“ für „Applied Molecular“; bei unserem Seidenmaterial passt der Begriff Advanced Materials ganz gut.  Der Name sichert uns als Nebeneffekt in Messeverzeichnissen einen der ersten Plätze: Auf der Expo 2010 in Shanghai waren wir beispielsweise die erste genannte Firma noch vor verschiedenen Großkonzernen.

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Ist das AM also keine Abkürzung?

Scheibel: Der Name sollte flüssig zu sprechen sein, das war wichtig – eine konkrete Abkürzung steht also nicht dahinter. Außenstehende dachten oft, „AM“ stehe für „aus München“.

Was ist das Besondere an der Spinnenseide?

Scheibel: Sie ist mechanisch belastbar, bakteriostatisch, weder allergen noch immunreaktiv, und sogar wund­heilungs­fördernd. Mit diesen Eigenschaften ist sie für die verschiedensten Bereiche interessant und vor allem auch in der Medizin einsetzbar. Man muss dazu sagen, dass Seidenproteine eine ganze Materialklasse sind. Von den 45.000 bekannten Spinnenarten produzieren nur 3.000 komplette Radnetze. Eine ganz normale, netzbauende Spinne produziert beispielsweise sieben verschiedene Sorten von Seiden. Der Netzkleber ist eine Sorte, der Netzzement eine andere, ebenso das Mittelstück als Sitzplatz der Spinne. Alle diese Sorten bestehen wiederum aus mehreren Seidenproteinen. Damit haben wir einen riesigen Fundus an Molekülen. Wir nutzen davon im Moment etwa 40 bis 50 Proteine, angepasst an unsere verschiedenen Anwendungen. Wir hatten Glück, dass gleich das erste Pferd, auf das wir gesetzt haben, tolle Eigenschaften hatte. - Unsere Arbeiten haben wir mit der Europäischen Gartenkreuzspinne (Araneus diadematus) begonnen, verwenden inzwischen aber auch Proteine aus anderen Arten wie der Schwarzen Witwe (Gattung Latrodectus). Wir haben zuerst die für die Seidenproteine kodierenden Gene identifiziert und diese dann so modifiziert, dass die entsprechenden Proteine in E. coli gut produziert werden. Vor allem die Verwendung der alternativen Codons musste angepasst werden, da Spinnen sich hierin deutlich von E. coli unterscheiden. Mit unserer Technologieplattform können wir Seidenproteine in großer Menge produzieren und die Eigenschaften dieser „engineered silk“ nutzbar machen.

Haben Sie Spinnen im Labor?

Scheibel: Ja, wir haben viele Spinnen in unserem Labor an der Universität, von allen Kontinenten der Welt. Wir versuchen zu verstehen, wie sich die Spinnenseiden unterscheiden. Beispielsweise beschichten einige Spinnen die Seidenproteine. Dieses Coating enthält Pheromone, Lockstoffe oder Neurotoxine, die bei einigen Arten zum Beispiel Ameisen abhalten sollen. Besonders interessiert uns auch, wie Spinnenseide die Regeneration von Nervenzellen fördert. Auf Seidenproteinen der Goldenen Radnetzspinnen (Gattung Nephila) wachsen Nervenzellen zum Beispiel sehr gut. Bei Seidenproteinen aus anderen Spinnenarten ist das dagegen nicht der Fall. Wir möchten herausfinden, wie es zu diesen Unterschieden kommt.

Sie machen also auch Grundlagenforschung?

Scheibel: Ja, wir machen beides. Ich bin Biochemiker und hatte das Glück, an der Uni Bayreuth einen Lehrstuhl an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften zu bekommen. Mein Mitarbeiter-Team dort ist dadurch breit ausgebildet und aufgestellt. Neben Molekularbiologen, Biochemikern und Zellbiologen haben wir unter anderem auch Chemiker, Physiker und Verfahrenstechniker. Wir können also mit dem natürlichen Material, dem Molekül, beginnen, es nachbauen, und daraus im Prinzip ein fertiges Produkt entwickeln. Das ist unwahrscheinlich spannend.

Was hat Sie persönlich an der Firmengründung gereizt?

Scheibel: Nach der Patentanmeldung hatten wir bald 200 Industrieanfragen pro Jahr. Die mussten geprüft werden, dafür fehlte mir irgendwann die Zeit. Wir konnten am Lehrstuhl nicht alles machen, und deshalb kamen wir auf die Idee, das Scaling-up des Produktionsprozesses, die Kommerzialisierung und die Vermarktung in eine Firma auszulagern. Das klappt sehr gut: Wir kommen an der Universität bis zum Prototyp, von da an übernimmt die Firma. Wir hatten Glück, dass die richtigen Menschen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle waren. Eine gute Idee alleine reicht leider nicht aus, um eine erfolgreiche Firma zu gründen.

Haben Sie sich mal überlegt, den Lehrstuhl aufzugeben und ganz in die Firma einzusteigen?

Scheibel: Die jetzige Aufteilung ist für alle perfekt. Als Professor an der Uni habe ich viele Freiheiten, kann mir neue Dinge anschauen. Im Grunde mache ich damit die Grundlagenforschung, auf der die Firma aufbauen kann. Diese kümmert sich dann darum, die Produkte zur Marktreife zu bringen.

Und wie finanzierte sich die Firma in der Anfangsphase?

Scheibel: Neben der Technischen Universität München haben sich zwei Wagniskapital-Gesellschaften, die MIG AG und die AT Newtec GmbH, mit einigen Millionen Euro an der Gründung beteiligt.

Welches Projekt würden Sie in der Zukunft gerne noch verwirklichen?

Scheibel: Erst vor kurzem wurde der Spitzenreiter unter den Spinnen entdeckt, was die Stabilität des Fadens angeht. Darwins Rindenspinne (Caerostris darwini) lebt an einem Fluss in Madagaskar und baut ihr Netz, eines der größten bekannten Radnetze, über der Wasseroberfläche. Um das Netz zu befestigen, spannt sie bis zu 25 Meter lange Ankerfäden über den Fluss. Spinnenseide ist das stabilste bekannte Biopolymer, und der Ankerfaden von Darwins Rindenspinne ist noch einmal vier- bis fünfmal stabiler als alle Fäden, die wir bisher kennen. Über die Zusammensetzung weiß man noch nichts, und wir wissen auch nicht, woher wir das Material für Untersuchungen bekommen könnten. Aber das wäre einer meiner Wunschträume: dorthin zu reisen, diese Spinne zu untersuchen und ihr Potenzial nutzbar zu machen.

Die Fragen stellte Larissa Tetsch

 

Steckbrief der AMSilk GmbH:

Gründung: 2008 (als Ausgründung der Technischen Universität München)

Sitz: Planegg-Martinsried bei München

Mitarbeiter: „mehr als 30“

Produkt: Hochleistungsmaterialien auf Basis von rekombinant hergestellter Spinnenseide



Letzte Änderungen: 15.03.2017