Editorial

Warum Forscher nicht aufgeben,...

... auch wenn das Projekt noch so hoffnungslos ist. Ein Projekt an der Uni Greifswald will das herausfinden.

(11.05.2005) Es ist schon eine Weile her, dass Forscher Laug versuchte dieses Membranprotein zu reinigen. Seiner Meinung nach musste es der Photorezeptor dieser verdammten Alge sein. Auch sein Chef glaubte dies.

Doch was hatten er und andere Gruppen sich schon die Zähne daran ausgebissen. Die Strategie war eigentlich ganz einfach: das Protein reinigen und ansequenzieren, dann die DNA-Sequenz ableiten und das Gen identifizieren. Irgendwie werde man es dann schon ausschalten können, und wenn die Alge dann nicht mehr weiß, wo das Licht herkommt - bingo!

Doch zunächst steckte das Protein noch in der Membran. Und da bekam Laug es einfach nicht heraus. Oder es verklumpte derart, dass damit nichts mehr anzufangen war; jedenfalls war nach der potenziellen Solubilisierung keine Aktivität mehr messbar. Fast seine gesamte Doktorarbeit ver(sch)wendete er auf dieses "Lösungs-Problem".

Detergenzien, salopp "Seifen" genannt, gab es schließlich genug - und monatlich kamen aus irgendwelchen Chemie-Labor vermeintlich immer besserer und schonendere dazu. Laug testete sie alle in aufwändigen Testreihen.

Manchmal sah er tatsächlich ein wenig Restaktivität nach der Solubilisierung. Dann war er nicht mehr zu halten: Der pH-Wert wurde optimiert, vermeintlich stabilisierende Agenzien getestet, Konzentrationsreihen über Konzentrationsreihen gefahren....

Schlussendlich ohne Erfolg. Laug schrieb seine Doktorarbeit mit den verhaltensphysiologischen Daten, die er zwischendurch gemacht hatte. Sie wurde gar nicht schlecht bewertet, doch Laug selbst hatte irgendwie das komische Gefühl, mit "seinem Problem" gescheitert zu sein. Und vor allem konnte er diese ganzen Klugscheißer nicht mehr sehen, die ihm schon vor langer Zeit geraten hatten, das Projekt zu wechseln. "Sein Problem" sei mit den aktuellen Methoden nicht zu lösen.

Zehn Jahre später wurde es gelöst, auf völlig andere Weise. Man kannte inzwischen die Genomsequenz der Alge, "zog" mit einem bekannten Sequenzmotiv das Gen, blockierte dessen Expression mit RNA-Interferenz - und tatsächlich: Die Alge war orientierungslos, wusste nicht mehr, woher das Licht kam. Das Protein hatte man dafür nicht gebraucht.

Ein Einzelfall nur? Wohl kaum. Ein solches irrationales Festhalten an Projekten, die sich nach kurzer Zeit als mit der aktuellen Methodik unlösbar herausstellen oder deren Ausgangshypothese sich schnell als falsch herausstellt, ist durchaus verbreitet. Und nicht wenige Forscher scheitern auf diese Weise völlig unnötig.

An der Universität Greifswald will man den "tieferen" Motiven für solche Phänomene in einer "Studie zu Entscheidungen experimentell arbeitender Biowissenschaftlerinnen und Biowissenschaftler" nachgehen. Kathrin Gärtner hat dazu einen Online-Fragebogen entworfen, den möglichst viele Bioforscherinnen und -forscher nun ausfüllen sollen (und zwar hier). Sie schreibt dazu:

"In der Psychologie existieren verschiedene theoretische Ansätze, die erklären, warum es zum Abbruch einmal begonnener Handlungen kommt. Die Idee war nun, dass die Überprüfung einer bestimmten Hypothese als eine Handlung aufzufassen ist (eventuell mit dem Ziel, diese Hypothese zu bestätigen). Ich möchte überprüfen, in wiefern sich diese Theorien auf wissenschaftliche Entscheidungen anwenden lassen. Aber das ist nicht das einzige Ziel. Ich möchte darüber hinaus erfahren, welche sozialen Faktoren einen Einfluss auf solche Entscheidungen haben. Spielt es zum Beispiel eine Rolle, ob auch negative Ergebnisse publiziert werden können?

Eng verwandt ist dieses Thema auch mit der wissenschaftstheoretischen Fragestellung, ob Hypothesen endgültig wiederlegt werden können (was für Karl Poppers Ansatz wichtig wäre). Einige Wissenschaftstheoretiker sind hier der Auffassung, dass das nicht geht, da ja auch immer die Methode ungeeignet/fehlerhaft sein könnte.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Ergebnisse der Studie nicht nur für ­Handlungsforscher' sondern auch für Wissenschaftler selbst interessant sein könnten. So ist in der Psychologie beispielsweise das Phänomen bekannt, dass Personen in ein fast aussichtsloses Projekt weiter Ressourcen investieren, weil sie sonst die bisher investierten Ressourcen als "verschwendet" betrachten müssten. Dieses Verhalten kann in höchstem Maße irrational sein, da das Projekt sehr aussichtslos ist und es besser wäre, sie begännen mit etwas anderem. Mein Fragebogen sollte es erlauben, Determinanten für ein solches Verhalten bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ausfindig zu machen. Wüssten Sie darum, dass sie dafür anfällig sind, könnten sie dem eventuell vorbeugen."


Interessant, oder? Also Bioforscherinnen und -forscher, rauf auf die Couch... - Äh, nein: Ran an den Fragebogen! (Nochmal der vollständige Link: http://itemdevil.psychologie.uni-greifswald.de/hypothese/hypothese_index.asp)

Kommentare zu diesem Artikel

Dieser Artikel ist wohl so eine Art 'Geiz ist geil' für Wissenschaftler'? Klar: in hundert Jahren werden pfiffige Labor-Robotor Alles für uns machen. Heißt das jetzt eigentlich triviale Experimentchen oder gar Dauerurlaub bis dahin für alle Wissenschaftler? Vielleicht sollten die brillianten Greifswalder Kollegen mal ein bißchen Zeit in dem Labor verbringen, wo einer in 20 Jahren den Nobelpreis kriegen wird, weil er gerade ein Enzym aufgereinigt hat, an dem sich vorher 50 Kollegen die Zähne ausgebissen haben. Wie? Sie kennen die Adresse nicht? Na dann forschen sie mal schön danach! Am Besten mit Google, weil's so einfach ist...;-)

Wissenschaft ist eine Leidenschaft, die Wissen oft durch Leiden schafft.

Dr. James Brown, 18-May-2005 10:55:16






Letzte Änderungen: 12.05.2005