Editorial

Insekten riechen schneller

(9.1.17) Der Jenaer Max-Planck-Direktor Bill Hansson will nicht nur wissen, wie Insekten Duftstoffe riechen – sondern vielmehr, was die Gerüche jeweils für das Tier bedeuten. Im Laborjournal-Gespräch erklärt er genauer, was sein Team inzwischen darüber gelernt hat.
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© NECO

Nicht jeder Hund, der gut riecht, riecht auch gut. Diese banale Weisheit bringt eines auf den Punkt: Riechen kann man aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Dem Psychologen erscheinen die durch Gerüche ausgelösten Emotionen spannend, Verhaltensforscher finden dagegen Pheromone ziemlich dufte – und Ökologen wiederum staunen darüber, wie Blumen bestimmte Insekten olfaktorisch anlocken.

In unserem aktuellen Publikationsvergleich zur Hals-Nasen-Ohren-Forschung (Laborjournal 12/2016: 30-33) interessierten uns in diesem Zusammenhang speziell diejenigen, die das Sinnesorgan Nase sowie die zell- und neurophysiologischen Vorgänge beim Riechen auf dem Schirm haben. Auf Platz 1 der meistzitierten Köpfe landete aber kein HNO-Arzt, sondern ein Allrounder und Grundlagenforscher: Bill Hansson, Direktor des Departments für Neuroethologie am Jenaer Max-Planck-Institut für chemische Ökologie. Mit seinem Team erforscht er, wie Insekten auf Gerüche reagieren – und zwar von der molekularen Ebene des Rezeptors über die Neurobiologie bis hin zum Verhalten. Im folgenden Interview erzählt uns Hansson darüber hinaus, warum HNO-Forscher von Drosophila-Modellen profitieren können, und inwiefern Insekten doch ganz anders riechen als wir.

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Laborjournal: Wie ist Ihre Herangehensweise, wenn Sie untersuchen, wie Insekten Gerüche verarbeiten?

Hansson: Sagen wir mal, wir wollen wissen, wie eine Fruchtfliege auf Bananen reagiert. Bananen sondern 800 bis 900 flüchtige Moleküle ab, und natürlich kann die Fliege die nicht alle riechen. Also würden wir erstmal eine Volatil-Sammlung der Banane erstellen. Dazu geben wir das, was die Banane absondert, auf einen Gas-Chromatographen und trennen die Mischung in ihre verschiedenen Komponenten auf. Für jede Komponente lassen wir die eine Hälfte durch einen chemischen Detektor laufen – und die andere Hälfte über eine Fliegen-Antenne, die für elektrophysiologische Messungen präpariert ist. Wir lassen also die Zelle auf die Frage antworten, ob sie eine Komponente riecht oder nicht.

Es geht also erstmal nur um Chemie und Zellphysiologie?

Hansson: Na ja, so finden wir jedenfalls heraus, auf welche Stoffe der Banane die Fliege überhaupt reagieren kann. Im nächsten Schritt können wir diese Substanzen dann für Verhaltensexperimente mit ins Labor nehmen. Dann lassen wir die Fliege die Frage beantworten: Magst du das, oder riecht es schlecht? Bei einer gelb-schwarzen Banane findet die Fliege etwa, dass sie hervorragend riecht. Aber eine grüne Banane riecht für die Flieger wirklich schlecht – sie kann eine grüne Banane ja schließlich nicht essen! Kurz gesagt: Uns interessiert vor allem, welche Bedeutung ein bestimmter Geruch für die Fliege hat. Nach dem Motto: Soll ich dort hingehen, oder soll ich fortgehen? 


Das betrifft dann aber irgendwann die höhere neuronale Verarbeitung und nicht mehr das eigentliche Riechen, oder?

Hansson: Überraschenderweise haben wir erstaunlich viele Rezeptoren gefunden, die sehr klar für eine ganz bestimmte Bedeutung stehen. Ein Eingang, der immer nur eine Antwort auslöst. Das ist ziemlich überraschend, weil man ja immer dachte, Riechen sei ein kombinatorischeres Sinnessystem, bei dem mehrere Inputs miteinander verrechnet werden. Wir haben aber viele dieser „roten Linien“ durch das System gefunden, die einfach nur sagen: ‚Das ist gut, geh dort hin!’ oder ‚Das ist schlecht, bleib weg davon!’.

Haben Sie dazu konkrete Beispiele?

Hansson: In unserem Cell-Paper von 2012 beschreiben wir spezielle neuronale Leitungen in Drosophila, die allein dazu da sind, schädliche Mikroben wahrzunehmen (Cell 151(6):1345-57). Wir arbeiten viel auf neurogenetischer Ebene, zum Beispiel mit optogenetischen Kanälen in diesen Neuronen, in denen normalerweise olfaktorische Rezeptoren sitzen. Wir ersetzen also den reizauslösenden Rezeptor, der normalerweise ein spezielles Molekül erkennt, durch einen lichtinduzierbaren Kanal, den wir kontrolliert ein- und ausschalten können. Wenn wir die derart manipulierte Antenne jetzt mit blauem Licht bestrahlen, entsteht für die Fliege ein Geruchseindruck.

Der große Vorteil dieses Ansatzes ist, dass die Fliege nicht noch weitere undefinierte Eindrücke einer heterogenen Geruchsquelle bekommt, die sie verrechnen kann. Und da beobachtet man zuweilen Verblüffendes: Wenn wir beispielsweise bei den Weibchen einen bestimmten Zelltyp der Antenne aktivieren, dann legt sie Eier. Das ist wie ein Reflex. Normalerweise erkennen diese Sinneszellen eine Substanz namens Limonen, die auch von Orangenschalen abgesondert wird.

Was kann denn ein HNO-Arzt von Drosophila lernen?

Hansson: Man kann erstmal lernen, wie der Geruchssinn funktioniert. Denn es gibt eine ganz grundlegende Architektur des Geruchssinns. Damit behaupte ich nicht, dass alles denselben Ursprung hat. Höchstwahrscheinlich ist das Riechen ein Beispiel für konvergente Evolution. Aber bestimmte Prinzipien funktionieren eben besonders gut, und deswegen sind sie mehr oder weniger gleich in unterschiedlichen Organismen. Und mit Insekten zu arbeiten, ist eben vergleichsweise einfach.

Es gibt aber einige Spezialisierungen. Insekten haben ja bestimmte Riechrezeptoren, die es bei Säugern nicht gibt.

Hansson: Ja, eine Sache ist bei den Insekten im Vergleich zu uns speziell: Die kombinieren den Riechrezeptor mit einem Ionenkanal. Das hatten wir bereits 2008 in Nature vorgestellt (Nature 452:1007-11). Das sind olfaktorische Ko-Rezeptoren.

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Das Insekten-Riechen startete erst mit dem Fliegen richtig durch

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Bei uns löst ein Geruchsmolekül, das an ein Rezeptormolekül bindet, doch auch einen Ionen-Einstrom aus!

Hansson: Aber wenn Sie etwas riechen, haben Sie zum einen Ihren Rezeptor – und irgendwo anders in der Zelle sitzt ein Ionenkanal. Übertrieben gesagt, muss die Information erstmal bis zum anderen Ende der Zelle, bevor ein neuronales Signal generiert wird. Die Insekten dagegen haben ihren Riechrezeptor direkt am Ionenkanal hängen. Die bilden ein Dimer, sind also physikalisch in direktem Kontakt. Wodurch das olfaktorische System der Insekten sehr schnell funktioniert, wahrscheinlich deutlich schneller als bei uns.

Diese Spezialisierung findet man nur bei geflügelten Insekten, schreiben Sie in einem Ihrer Paper…

Hansson: Ja, das haben wir vor drei Jahren publiziert (Elife 3:e02115). Damals dachte man, dass die sogenannte Olfactory Receptor Family ein Typ von Riechrezeptoren darstellt, den Insekten als Anpassung an das terrestrische Leben entwickelt hätten. Wir haben aber gezeigt, dass dieser Rezeptortyp in der Evolution eigentlich erst auftauchte, als die Insekten mit dem Fliegen begannen. Ursprüngliche, flügellose Insekten wie die Silberfische haben nur den Ionotropen Rezeptor, einen alten Rezeptortyp. In einer aktuellen Arbeit zeigen wir, dass die ‚neuen’ Olfaktorischen Rezeptoren eine besonders schnelle Detektion und Verarbeitung olfaktorischer Signale ermöglichen (J Exp Biol 219(Pt 21):3428-38).

Wir sind uns daher ziemlich sicher, dass Insekten gerade im Flug sehr schnell olfaktorische Signale aufnehmen. Vor allem scheinen sie sensibel für konstante kurze Pulse von Gerüchen. Ein Geruch ist nämlich kein Nebel, sondern er verteilt sich eher wie der Rauch eine Zigarette, der ja auch Filamente und Muster bildet. Wenn ein Motten-Männchen ein Weibchen sucht, folgt es einer Art Morsesignal, weil das Weibchen Pheromone in kurzen Pulsen absondert. Wir als Menschen können solche Muster gar nicht erkennen, weil unser Riechen ganz anders funktioniert. Wir müssen dazu erstmal einatmen und zerstören dabei diese räumlich-zeitliche Information. Aber ein Insekt trägt seinen Geruchsdetektor mit den Antennen ja quasi außerhalb des Körpers.

Was ist das Besondere an Ihrer Arbeitsgruppe?

Hansson: Das Einzigartige an unserem Ansatz ist, dass wir die Fliege oder die Motte als reales Tier betrachten. Natürlich haben sich viele Labore mit neurowissenschaftlichen und genetischen Aspekten des Riechens bei Drosophila beschäftigt – aber niemand hat sich damit befasst, was ein Geruch für die Fliege bedeutet. Für die frühen Riechexperimente hat man einfach Chemikalien aus dem Regal genommen – unabhängig davon, ob dieses Molekül für die Fliege relevant ist oder nicht. Wir aber benutzen natürliche Stimuli, denn wir untersuchen schließlich ein System, das sich entwickelt hat, damit die Insekten überleben und sich fortpflanzen. Mittlerweile machen das auch andere Labore. Aber ich denke schon, dass wir auf diesem Gebiet zu den Pionieren zählen.

Interview: Mario Rembold



Letzte Änderungen: 27.01.2017