Editorial

Zellteilung geht auch anders!

(18.10.16) Mikrobiologen aus Bremen, Wien und Amsterdam haben sich in der Karibik einen kleinen Fadenwurm genauer angeschaut. Am Ende musste das scheinbar gelöste Rätsel um die mikrobielle Zellteilung noch einmal überdacht werden.
editorial_bild

© Nikolaus Leisch

In den seichten Gewässern der Karibik erwartet man eher von Hollywood-gecastete Möchtegern-Piraten, die sich auf ihren Schiffen wilde Verfolgungsjagden leisten – statt einen kleinen Fadenwurm, der das komplette Verständnis der mikrobiologischen Zellteilung über den Haufen wirft.

Der aufmerksame Leser wird jetzt natürlich denken: Fadenwurm und Mikrobiologie? Das passt doch nicht zusammen! Doch, tut es.

Denn der kleine Nematode, um den es hier geht, auch Robbea hypermnestra genannt, lebt in einer engen Symbiose mit einem bisher namenlosen Gammaproteobakterium. Der stäbchenförmige Prokaryot umgibt seinen Wirt dicht aneinander gedrängt und umhüllt ihn dadurch wie eine Art „Mantel“. Für uns Menschen ist der Einzeller harmlos – für den Fadenwurm hingegen überlebenswichtig: Als Kohlenstofffixierer nutzt er den umgebenden chemischen Gradient aus, um sich und seinen Wirt zu ernähren.

Editorial

Forscher um Nikolaus Leisch vom Max-Planck-Institut (MPI) für Marine Mikrobiologie in Bremen haben sich den Nematoden und seinen Symbiont kürzlich etwas genauer angeschaut. Ziel der Arbeit war es, Bakterien zu untersuchen, die nicht so einfach im Labor kultiviert werden können. Dazu zählen beispielsweise Vertreter die an extremen Standorten vorkommen oder in strenger Symbiose mit ihrem Wirt leben. In dem Nematoden-Proteobakterium fanden Leisch und Co. daher den idealen Kandidaten – und wurden belohnt.

Denn das Bakterium übertraf alle Erwartungen, als die Mikrobiologen merkten, dass es sich auf eine sehr untypische Art und Weise vermehrt. Normalerweise bildet sich im Zuge der bakteriellen Zellteilung in der Zellmitte ein Ring aus FtsZ-Proteinen, der sich dann gleichmäßig zusammenzieht und die Zelle abschnürt. Das Resultat: Aus einer großen Zelle entstehen zwei kleinere, meist identische Tochterzellen.

Mit dieser Technik hätte der Nematoden-Symbiont jedoch ein fatales Problem: Das stäbchenförmige Bakterium ist nämlich an einem Pol mit dem Nematoden verankert, der andere Teil flottiert frei in der Umgebung. Möchte sich der Einzeller nun duplizieren, wäre die altbekannte Teilungsmethode mit der Zell-Einschnürung in der Mitte unvorteilhaft. Denn der vordere Pol würde wie gewohnt am Nematoden haften bleiben, während der abgeschnürte hintere Teil einfach abfallen und auf den sandigen Meeresboden herabsinken würde.

Aber Mutter Evolution hat sich etwas einfallen lassen – frei nach dem Motto: „Lasst es uns doch einfach mal anders machen!“ Der Symbiont teilt sich nämlich der Länge nach. Was für stäbchenförmige Bakterien generell sehr ungewöhnlich ist, ist für den Wurm-Symbiont die einzige Möglichkeit, dass nach der Teilung beide Tochterzellen am Nematoden hängen bleiben.

Doch damit nicht genug. Die Forscher fanden weiterhin, dass die Bakterien sich asymmetrisch teilen. Das bedeutet: Das am Wurm verankerte Ende teilt sich zuerst, die Teilung des freien Endes folgt zeitversetzt. Ebenfalls für stäbchenförmige Bakterien eher ungewöhnlich.

Doch die wohl größte Überraschung folgte, als die Autoren die Einzeller unter ein hochauflösendes Mikroskop legten: Es war kein FtsZ-Ring aufzufinden. Lediglich spärliche Proteinanhäufungen an der Längsachse waren sichtbar, aber weit und breit kein Ring. Ein altbekanntes Prinzip, das lange Zeit als verstanden galt, wurde (wieder einmal) über den Haufen geworfen – und erneut zeigt sich, dass es so gut wie nichts gibt, worüber Bakterien sich nicht hinwegsetzen können.

In der Pressemeldung des Bremer MPIs erklärt Nikolaus Leisch überdies einen weiteren interessanten Punkt. Der Bakterienmantel um den Fadenwurm ist nämlich an manchen Stellen offen: Am Kopf und am Schwanzende ist der Wurm daher mikrobenfrei. Leisch schlussfolgert daraus, dass der Nematode an diesen Stellen das bakterielle Wachstum höchst wahrscheinlich verhindern könne. Interessant wäre es zu erfahren, wie er das macht.

Vielleicht kann jemand im nächsten Karibikurlaub den kleinen Wurm einfach mal noch ein bisschen genauer beobachten.

Juliet Merz



Letzte Änderungen: 09.11.2016